Konferenzen im neuen Online-Gewand
Ich liebe Konferenzen und Barcamps! Sie sind für mich eine Quelle zum Lernen, Beobachten und Kennenlernen - insbesondere von wundervollen und interessanten Menschen. Die Gewohnheiten des Zusammenkommens haben sich 2020 mit Covid-19 schlagartig verändert. Das gewohnte Zusammenkommen war plötzlich nicht mehr ohne Weiteres möglich. Und somit mussten sich Veranstalter und Besucher verändern und sich den neuen Gegebenheiten anpassen.
Zum Glück sind wir im IT-Bereich zumindest mit der Digitalisierung weit genug, sodass sich Konferenzen fast von Zauberhand zu Hybrid- oder Online-Veranstaltungen verwandeln lassen (natürlich ist immer noch viel Aufwand seitens der Organisatoren notwendig). Das ist eine gute Sache, aber kann es einem wirklich die gleichen Erfahrungen bieten wie eine Vor-Ort-Veranstaltung?
Welche Vorteile bieten Online-Konferenzen?
Lasst uns einen Blick auf ein paar Vorteile von Online-Konferenzen werfen:
- Als Besucher haben wir plötzlich keine weite Anreise mehr. Wir müssen uns nicht um Hotelzimmer oder Fahrten vom Hotel zum Konferenzgelände kümmern. Die Verpflegung ist daheim (mehr oder weniger) gewährleistet, ohne dass man am Abend ein Restaurant suchen oder dasselbige im Hotel aufsuchen muss.
- Es ist möglich ohne große Nachteile Konferenzen auf der ganzen Welt zu besuchen. Internationale Konferenzen, die man vorher aufgrund der Nebenkosten- und Reisesituation gescheut hat, sind theoretisch kein Problem mehr.
- Wegen der entfallenen Anreise ergibt sich noch ein weiterer Vorteil: Ein Konferenzbesuch lässt sich leichter mit der Familie vereinbaren. Zuvor hat man die Kinder für mehrere Tage am Stück nicht sehen können.
- Es sind viele neue Tools im Laufe von 2020 entwickelt bzw. weiterentwickelt worden, die uns dabei helfen, solche Online-Formate überhaupt auf die Beine stellen zu können. Es ist spannend mitzuerleben welche Tools in einer Online-Konferenz eingesetzt werden. So hat man auch einen zusätzlichen Lerneffekt: Kann ich mir etwas für mein Team oder meine Firma abschauen? Beispiele, die ich bisher miterlebt habe: Sococo, Gather oder in einem kleinem Team-Rahmen auch wurkr.io.
- Gleichzeitig gestaltet sich über diese Tools auch das Aufzeichnen einer Session wesentlich leichter, sofern dies natürlich erlaubt ist. Folien können kurzerhand per Screenshot und gut lesbar festgehalten werden. Das liefert deutlich bessere Ergebnisse, als beim Versuch ein halbwegs scharfes Foto einer Präsentationsfolie mit dem Smartphone zu schießen – ich denke da an meine eigenen missglückten Versuche...
- Wir sind alle Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, Formen und Größen, sprechen unterschiedliche Sprachen und sind auch in unserer Persönlichkeit sehr facettenreich. Aus meiner Sicht helfen Online-Konferenzen dabei Barrieren abzubauen, z. B. für Menschen mit Platzangst.
Wie ich die letzte Online-Konferenz erlebt habe
Kommen wir nach den Vorteilen von Online-Konferenzen zu meinen eigenen Erfahrungen. Die Online-Konferenz, der ich im Herbst beiwohnen durfte, war mir nicht unbekannt. Ich hatte diese Konferenz bereits 2019 vor Ort besucht. Da es mir dort sehr gut gefallen hatte, waren meine Erwartungen entsprechend hoch. Mir war schon vorher bewusst, dass die Online-Erfahrung für mich nicht die vor-Ort-Erfahrung gleichwertig ersetzen wird.
Das Toolset dieser Konferenz war ausgereift und mit Liebe zum Detail zusammengestellt worden. Die zentrale Konferenz-App (zur Vernetzung der Teilnehmer, Programmeinsicht, Mediathek, Schwarzes Brett, Feedbackecke, etc.) wurde mit der Web-basierten App LINEUPR verwirklicht und war leicht bedienbar sowohl mit mobilen Geräten als auch mit dem PC.
Zusätzlich wurde Zoom für Videokonferenzen, in Kombination mit der Webanwendung Sococo genutzt, mit der das Veranstaltungsgelände und die Teilnehmer visuell abgebildet wurden. In Sococo konnten sich die Teilnehmer in kleineren Räumen miteinander treffen und über verschiedenste Themen miteinander reden.
Trotz meiner anfänglichen Euphorie bzgl. des interessanten und umfangreichen Toolsets konnte ich mit fortschreitender Veranstaltungszeit allerdings auch negative Auswirkungen bei mir beobachten:
- Ich litt an enormen Aufmerksamkeitsverlust. Je länger eine Session dauerte, umso unkonzentrierter wurde ich. Ich wusste bei einem Vortrag schon nach kürzester Zeit nicht mehr, was der Speaker vor 20 Sekunden gesagt hatte.
- Meine Aufmerksamkeit versuchte ich während mancher Sessions sowohl auf den Speaker als auch den Zoom-Chat zu richten. Dies führte bei sehr aktiven Chats nach einer Weile zu erheblichen Kopfschmerzen und zahlte somit noch mehr auf die Problematik des Aufmerksamkeitsverlusts ein. Sich auf Gesagtes und Geschriebenes gleichzeitig zu konzentrieren, ist einfach nicht möglich.
- Das konzentrierte Starren auf den Laptop machte mich nach einer Weile sehr müde und träge. Es war eine denkbar schlechte Idee von mir, zu einem späteren Zeitpunkt auf das bequeme Sofa mit dem Laptop auf den Beinen auszuweichen, anstatt am Schreibtisch sitzen zu bleiben.
- Die Vielfalt an Werkzeugen hat mich irgendwann überfordert. So sinnvoll die Tools auch ausgewählt waren von den Organisatoren, irgendwann habe ich trotzdem den Überblick verloren, weil sowohl Sococo und Zoom als auch die App redundante Möglichkeiten boten mit Teilnehmern zu chatten.
- Gespräche und das in Kontakt kommen mit anderen Teilnehmern war zwar möglich, es erfordert aber eben eine ganz andere Form der Initiative in einer Online-Konferenz. Vor allem bei einer entsprechenden Größe des Teilnehmerkreises funktionierte es für mich nicht mehr so gut.
- Ich vermisste die Atmosphäre aus dem letzten Jahr. Natürlich ist eine Online-Konferenz wohl kaum mit einer vor-Ort-Konferenz zu vergleichen.
Mein Fazit
Alles in allem hatte diese Online-Konferenz einen negativen Beigeschmack für mich. Gestört hat mich insbesondere, dass nicht einmal ansatzweise eine ähnliche Stimmung und Atmosphäre aufkam wie unter Präsenz-Bedingungen. Konferenzen sind für mich nicht nur zum bloßen Konsumieren von Informationen und Wissen da, sondern sollen die Möglichkeit des Dialogs mit anderen Besuchern bieten. Aber auch die Umgebung der Konferenz wirkt auf Besucher ein. Man fühlt sich inspiriert und die Umgebung kann auch eine Quelle für Ideen und tolle Begegnungen sein. Das funktioniert bei einer Online-Konferenz für mich leider gar nicht.
Spontanes Zusammentreffen mit unbekannten Teilnehmern oder Treffen mit bereits Bekannten sind online auch nicht das Gleiche. Wenn es mir nur um das Vermitteln von Wissen geht, dann kann das über eine Online-Konferenz natürlich wunderbar funktionieren. Mir sind die spontanen Begegnungen und der Austausch im Gespräch aber einfach viel wichtiger.
Schlussendlich ist alles Geschmackssache. Ich habe für mich nach dieser Erfahrung festgestellt und entschieden, dass Online-Konferenzen nichts für mich sind. Ich verzichte lieber und warte ab, bis ich bald wieder eine Konferenz im gewohnten Format genießen darf. Bis auf Weiteres werde ich wohl auf andere Medien (z. B. Artikel, Bücher, Podcasts, YouTube-Videos) zurückgreifen, um mir Wissen anzueignen.
Über die Autorin
Kerstin ist als Scrum Master und Qualitätsmanagementbeauftragte bei der MATHEMA GmbH unterwegs. Sie liebt es zu visualisieren und gibt gerne spielerisch Wissen weiter. Ansonsten unterstützt sie Teams dabei, ihre Zusammenarbeit zu verbessern.